Geldschöpfung: Wie Banken durch den monetären Multiplikator unser Geld schaffen

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By Emma Schneider

Inhaltsverzeichnis

Im Kern unseres modernen Wirtschaftssystems steht ein Phänomen, das für viele Laien, aber selbst für so manchen Ökonomen, zunächst mysteriös anmutet: die Geldschöpfung. Wenn wir über Geld nachdenken, stellen wir uns oft vor, dass es von staatlichen Münzprägeanstalten oder Zentralbanken gedruckt wird. Doch die Realität ist komplexer und faszinierender. Ein Großteil des Geldes, das in unserer Wirtschaft zirkuliert, wird nicht physisch gedruckt, sondern entsteht digital in Form von Buchgeld durch die Geschäftstätigkeit der privaten Geschäftsbanken. Dieses Prinzip ist fundamental für das Verständnis, wie Volkswirtschaften funktionieren, wie Inflation oder Deflation entstehen und wie Zentralbanken versuchen, die Wirtschaft zu steuern. Zentral für dieses Verständnis ist das Konzept des monetären Multiplikators – ein mächtiges Instrument, das die Beziehung zwischen der von der Zentralbank bereitgestellten Geldbasis und der gesamten Geldmenge in einer Volkswirtschaft beleuchtet. Es erklärt, wie aus einer anfänglichen Einlage oder einer von der Zentralbank in Umlauf gebrachten Summe ein Vielfaches an Buchgeld generiert werden kann. Die Beherrschung dieses Mechanismus ist entscheidend, um die Dynamik von Kreditvergabe, Investitionen und Konsum zu erfassen, die das Fundament unserer Prosperität bilden.

Grundlagen des Geldsystems und der Geldschöpfung

Um den monetären Multiplikator in seiner vollen Tiefe zu erfassen, ist es unerlässlich, die fundamentalen Bestandteile unseres modernen Geldsystems zu verstehen. Dieses System ist eine komplexe Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren und Geldformen.

Die Rolle der Zentralbank und der Geschäftsbanken

Unser Geldsystem ist zweistufig. An der Spitze steht die Zentralbank (z.B. die Europäische Zentralbank, EZB, oder die Federal Reserve, Fed), die die Hoheit über das sogenannte Zentralbankgeld besitzt. Dies umfasst sowohl physisches Bargeld als auch die Einlagen von Geschäftsbanken bei der Zentralbank, oft als „Reserven“ bezeichnet. Die Zentralbank agiert als Bank der Banken und des Staates, ist für die Geldpolitik verantwortlich und hat das Monopol auf die Emission von Banknoten und Münzen. Ihre Hauptaufgabe ist die Gewährleistung der Preisstabilität, oft ergänzt durch die Unterstützung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Unterhalb der Zentralbank agieren die privaten Geschäftsbanken (wie Sparkassen, Volksbanken, Großbanken etc.). Diese Banken sind die primären Schöpfer des Buchgeldes oder Giralgeldes, das den Großteil der Geldmenge ausmacht, die wir im täglichen Zahlungsverkehr nutzen. Wenn Sie eine Überweisung tätigen oder mit Ihrer Karte bezahlen, bewegen Sie im Wesentlichen Giralgeld, das in den Büchern der Banken existiert. Die Geschäftsbanken nehmen Einlagen entgegen und vergeben Kredite, und genau in diesem Prozess entsteht neues Giralgeld.

Arten von Geld: Basisgeld (Zentralbankgeld) vs. Buchgeld (Giralgeld)

Es ist von entscheidender Bedeutung, zwischen den verschiedenen Geldformen zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Ursprünge und Funktionen haben:

  1. Basisgeld (oder Zentralbankgeld): Dies ist die primäre Form von Geld, die von der Zentralbank geschaffen wird. Es existiert in zwei Formen:
    • Bargeld: Physische Banknoten und Münzen, die wir im Alltag verwenden.
    • Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank: Dies sind die Reserven, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten. Sie dienen zur Abwicklung des Interbankenverkehrs (Zahlungen zwischen Banken), zur Erfüllung von Mindestreservepflichten und als Liquiditätspuffer.

    Das Basisgeld wird auch als „High-Powered Money“ bezeichnet, weil es das Fundament ist, auf dem das Vielfache an Giralgeld geschaffen werden kann. Die Zentralbank steuert die Menge des Basisgeldes hauptsächlich über Offenmarktgeschäfte, indem sie Wertpapiere kauft oder verkauft.

  2. Buchgeld (oder Giralgeld): Dies ist das Geld, das auf den Konten von Privatpersonen, Unternehmen und Regierungen bei Geschäftsbanken existiert. Es wird durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken geschaffen. Wenn eine Bank einem Kunden einen Kredit gewährt, schreibt sie dem Kunden den Kreditbetrag auf seinem Konto gut. Dieser Betrag existiert vorher nicht als separates Geld in der Bank, sondern wird „aus dem Nichts“ geschaffen – genauer gesagt, als eine neue Verbindlichkeit der Bank gegenüber dem Kunden. Der Kunde kann dieses Geld dann nutzen, um Zahlungen zu tätigen.

Das Konzept der Geldbasis

Die Geldbasis (monetary base, M0) ist die Summe des in Umlauf befindlichen Bargeldes plus der Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Sie ist die direkte Größe, die von der Zentralbank kontrolliert werden kann. Die Zentralbank kann die Geldbasis erhöhen, indem sie z.B. Wertpapiere von Geschäftsbanken kauft und ihnen dafür Zentralbankguthaben gutschreibt. Dies ist der Ausgangspunkt für den Multiplikationsprozess. Eine Expansion der Geldbasis legt das Fundament für eine potenzielle Ausweitung der gesamten Geldmenge.

Wie entsteht Giralgeld durch Kreditvergabe?

Der Schlüssel zum Verständnis der Geldschöpfung liegt im Zusammenspiel von Einlagen und Krediten. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Banken lediglich Spargelder einsammeln und diese dann als Kredite weitervergeben. Tatsächlich ist es umgekehrt: Kredite schaffen Einlagen.

Stellen Sie sich vor, eine Geschäftsbank vergibt einen Kredit von 100.000 Euro an ein Unternehmen. Die Bank überweist diesen Betrag nicht aus einem physischen Vorrat an Geld, den sie zuvor gesammelt hat. Stattdessen bucht sie die 100.000 Euro auf dem Girokonto des Unternehmens gut. Für die Bank entsteht dabei eine neue Aktiva (der Kredit an das Unternehmen) und eine neue Passiva (die Einlage des Unternehmens). Die Gesamtgeldmenge in der Wirtschaft erhöht sich um 100.000 Euro. Dieses neu geschaffene Giralgeld kann nun für Transaktionen verwendet werden.

Wenn das Unternehmen dieses Geld ausgibt, indem es beispielsweise Rechnungen bezahlt, wird das Geld auf die Konten anderer Unternehmen oder Personen überwiesen, die möglicherweise Konten bei derselben oder einer anderen Bank haben. Hier beginnt der Multiplikationsprozess. Die Bank, die die Einlage erhält, muss einen Teil davon als Reserve halten (entweder verpflichtend oder freiwillig) und kann den Rest wieder als Kredit vergeben, wodurch ein weiterer Zyklus der Geldschöpfung beginnt. Dieses iterative Verfahren ist das Herzstück des monetären Multiplikators.

Der monetäre Multiplikator: Eine detaillierte Betrachtung

Der monetäre Multiplikator ist ein zentrales Konzept in der Makroökonomie, das beschreibt, wie die Geldbasis (M0), die von der Zentralbank kontrolliert wird, zu einer weitaus größeren Geldmenge (M1, M2, M3) im Umlauf führen kann, die letztendlich von den Geschäftsbanken geschaffen wird. Es ist ein Maß dafür, wie effizient die monetäre Basis in breitere Geldmengen umgewandelt wird.

Definition und Formel des Geldmultiplikators

Der Geldmultiplikator (m) ist definiert als das Verhältnis der gesamten Geldmenge (M) zur monetären Basis (MB).

M = m * MB
m = M / MB

Dabei ist M eine der breiteren Geldmengenaggregate (z.B. M1, die Bargeld im Umlauf und Sichteinlagen umfasst). Die Geldbasis MB ist das von der Zentralbank herausgegebene Geld, bestehend aus Bargeld in Händen der Öffentlichkeit und den Reserven der Banken bei der Zentralbank.

Die Formel für den Geldmultiplikator lässt sich auch aus den Verhaltensweisen der Öffentlichkeit und der Banken ableiten. Sie hängt von der Mindestreserve (oder dem Reservesatz), der Bargeldabflussquote und der Überschussreserve ab.

Die vereinfachte Formel lautet:

m = 1 / r

Wobei `r` der Reservesatz ist (Anteil der Einlagen, den Banken als Reserve halten müssen oder freiwillig halten). Diese Formel geht davon aus, dass Banken keine Überschussreserven halten und die Öffentlichkeit kein Bargeld abhebt. In der Realität ist die Formel komplexer.

Die erweiterte Formel, die die Verhaltensweisen von Banken und der Öffentlichkeit berücksichtigt, lautet:

m = (1 + c) / (r + e + c)

Wobei:

  • c (currency ratio) ist die Bargeldabflussquote: Der Anteil des Giralgeldes, den die Öffentlichkeit als Bargeld halten möchte.
  • r (required reserve ratio) ist der Mindestreservesatz: Der Prozentsatz der Einlagen, den Banken gesetzlich als Reserve bei der Zentralbank halten müssen.
  • e (excess reserve ratio) ist der Überschussreservesatz: Der Prozentsatz der Einlagen, den Banken freiwillig als Überschussreserven über die Mindestreserve hinaus halten.

Diese Formel zeigt, dass der Multiplikator umso größer ist, je niedriger die Bargeldabflussquote, der Mindestreservesatz und der Überschussreservesatz sind.

Schritt-für-Schritt-Erklärung des Multiplikationsprozesses

Der Prozess der Geldschöpfung durch den monetären Multiplikator ist ein iteratives Verfahren, das auf der Kreditvergabe der Geschäftsbanken basiert. Gehen wir dieses Szenario mit einem einfachen Beispiel durch:

Angenommen, die Zentralbank erhöht die Geldbasis, indem sie einer Geschäftsbank (Bank A) 100 Millionen Euro an neuen Reserven zur Verfügung stellt (z.B. durch den Kauf von Staatsanleihen von der Bank). Nehmen wir an, der Mindestreservesatz beträgt 10% und es gibt weder Bargeldabfluss noch Überschussreserven.

  1. Anfangsphase: Erhöhung der Reserven bei Bank A

    Bank A erhält 100 Millionen Euro an neuen Reserven von der Zentralbank. Diese Reserven sind Zentralbankgeld. Bank A muss 10% davon, also 10 Millionen Euro, als Mindestreserve halten. Die verbleibenden 90 Millionen Euro sind Überschussreserven, die Bank A zur Kreditvergabe nutzen kann. Die Bank sieht diese als potenzielle Gewinne und wird versuchen, sie in Kredite umzuwandeln.

  2. Erste Runde der Kreditvergabe (Bank A)

    Bank A vergibt einen Kredit von 90 Millionen Euro an ein Unternehmen X. Bank A schreibt diese 90 Millionen Euro dem Girokonto von Unternehmen X gut. Dies ist die erste Schöpfung von neuem Giralgeld. Die Geldmenge (M1) hat sich um 90 Millionen Euro erhöht.

    Unternehmen X verwendet diese 90 Millionen Euro, um beispielsweise Rechnungen bei Unternehmen Y zu bezahlen. Unternehmen Y erhält die Zahlung und überweist das Geld auf sein Konto bei einer anderen Bank (Bank B).

  3. Zweite Runde der Kreditvergabe (Bank B)

    Bank B erhält nun eine Einlage von 90 Millionen Euro von Unternehmen Y. Von diesen 90 Millionen Euro muss Bank B ebenfalls 10% (9 Millionen Euro) als Mindestreserve bei der Zentralbank halten. Die verbleibenden 81 Millionen Euro sind Überschussreserven, die Bank B nun zur Kreditvergabe nutzen kann.

    Bank B vergibt einen Kredit von 81 Millionen Euro an Unternehmen Z. Wiederum werden diese 81 Millionen Euro als neues Giralgeld auf dem Konto von Unternehmen Z geschaffen. Die Geldmenge erhöht sich um weitere 81 Millionen Euro.

  4. Fortführung des Prozesses und die geometrische Reihe

    Dieser Prozess setzt sich fort. Unternehmen Z gibt die 81 Millionen Euro aus, die in einer weiteren Bank (Bank C) als Einlage landen. Bank C hält 10% (8,1 Millionen Euro) als Reserve und vergibt den Rest (72,9 Millionen Euro) als neuen Kredit. Jeder neue Kredit führt zu einer Einlage, die wiederum einen Teil als Reserve erfordert und den Rest für neue Kredite freigibt.

    Die gesamte neu geschaffene Geldmenge ist die Summe einer geometrischen Reihe: 90 Mio. + 81 Mio. + 72,9 Mio. + … Die Summe dieser Reihe konvergiert zu einem Wert, der dem anfänglichen Überschuss der Reserven multipliziert mit 1/r entspricht. Wenn die ursprüngliche Erhöhung der Geldbasis 100 Millionen Euro beträgt und der Reservesatz 10% (0,1) ist, beträgt der Multiplikator 1/0,1 = 10. Die gesamte Geldmenge, die geschaffen werden kann, beträgt also 100 Millionen Euro * 10 = 1.000 Millionen Euro (oder 1 Milliarde Euro).

Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Multiplikationsprozess nicht bedeutet, dass Banken physisch Geld von einer Bank zur nächsten schicken. Es ist ein Buchungsvorgang, bei dem die Kontostände steigen und fallen. Die Reserven bei der Zentralbank dienen lediglich zur Deckung der Interbanken-Zahlungen, die aus der Kreditvergabe resultieren.

Praktisches Beispiel mit Zahlen

Um die Funktionsweise des Geldmultiplikators noch greifbarer zu machen, betrachten wir ein detailliertes Beispiel mit konkreten Zahlen. Nehmen wir an, die Zentralbank kauft Wertpapiere im Wert von 100 Millionen Euro von der Bank A, wodurch die Reserven der Bank A um diesen Betrag steigen. Der Mindestreservesatz sei 10%. Wir ignorieren für dieses vereinfachte Beispiel zunächst die Bargeldabflussquote und die Überschussreserven.

Anfängliche Situation:

  • Zentralbank erhöht die Geldbasis um 100 Mio. EUR durch Kauf von Wertpapieren von Bank A.
  • Bank A hat nun 100 Mio. EUR zusätzliche Reserven.
  • Mindestreservesatz = 10%

Der Multiplikationsprozess:

Runde Bank Neue Einlage Neue erforderliche Reserve (10%) Neuer Kredit (90%) Kumulative Giralgeldschöpfung
0 Zentralbank 100 Mio. EUR an Reserven bei Bank A 0
1 Bank A 100,00 Mio. EUR (als Kredit an X) 10,00 Mio. EUR 90,00 Mio. EUR 90,00 Mio. EUR
2 Bank B 90,00 Mio. EUR (von X zu Y) 9,00 Mio. EUR 81,00 Mio. EUR 90,00 + 81,00 = 171,00 Mio. EUR
3 Bank C 81,00 Mio. EUR (von Y zu Z) 8,10 Mio. EUR 72,90 Mio. EUR 171,00 + 72,90 = 243,90 Mio. EUR
4 Bank D 72,90 Mio. EUR 7,29 Mio. EUR 65,61 Mio. EUR 243,90 + 65,61 = 309,51 Mio. EUR
Gesamt (Theoretisch unendlich viele Runden) Alle Banken 1.000,00 Mio. EUR 100,00 Mio. EUR 900,00 Mio. EUR 1.000,00 Mio. EUR

Analyse des Beispiels:

  • Die anfängliche Erhöhung der Geldbasis um 100 Millionen Euro ermöglicht eine Gesamtgeldschöpfung von Giralgeld in Höhe von 900 Millionen Euro. Wenn wir die anfängliche direkte Kreditvergabe der Bank A von 90 Millionen Euro an X als Teil der Geldmenge betrachten (die im Beispiel oben mit „Neue Einlage“ und später „Neuer Kredit“ verbunden wird), dann ist die Gesamtmenge des neuen Giralgeldes, das durch diesen Prozess entsteht, die Summe aller „Neuer Kredit“-Beträge, die in jeder Runde entstehen.
  • Der ursprüngliche Impuls von 100 Millionen Euro an Reserven bei Bank A führte zu einer Kette von Kreditvergaben und Einlagen, die die gesamte Giralgeldmenge (M1 ohne Bargeld) um das Neunfache des ursprünglichen Kreditvergabeimpulses erhöhte. Der theoretische Multiplikator wäre 1/0.1 = 10. Das bedeutet, dass die anfänglichen 100 Mio. EUR an Reserven letztendlich eine Gesamtgeldmenge von 1000 Mio. EUR (1 Mrd. EUR) an Sichteinlagen stützen können. Die 900 Mio. EUR „neuen Kredite“ addieren sich zu dieser ursprünglichen Einlage, um die Gesamtmenge zu erreichen. Wenn wir die 100 Mio. € anfängliche Erhöhung der Geldbasis betrachten, bedeutet dies, dass 100 Mio. € an anfänglichen Reserven es ermöglichen, dass 1000 Mio. € an Giralgeld auf Bankkonten existieren können, wenn der Reservesatz 10% ist.
  • Der Prozess verlangsamt sich in jeder Runde, da ein kleinerer Betrag für die weitere Kreditvergabe zur Verfügung steht.
  • Die Summe aller Mindestreserven, die im Laufe des Prozesses gebildet werden, entspricht genau der anfänglichen Erhöhung der Geldbasis (100 Millionen Euro), wenn das System vollständig ausgeschöpft wird. Dies verdeutlicht, wie Zentralbankgeld (Reserven) das Fundament für die Giralgeldschöpfung bildet.

Dieses Beispiel unterstreicht die enorme Hebelwirkung des monetären Multiplikators und die Bedeutung der Mindestreserve für die Geldpolitik. Es zeigt auch, wie wichtig das Vertrauen in das Bankensystem ist, damit dieser Prozess reibungslos funktioniert.

Faktoren, die den Geldmultiplikator beeinflussen

Die einfache Formel des Geldmultiplikators (1/r) ist eine starke Vereinfachung. In der Realität gibt es mehrere Faktoren, die seine Wirksamkeit und Größe erheblich beeinflussen. Diese Faktoren spiegeln die Verhaltensweisen der Banken, der Öffentlichkeit und die regulatorischen Rahmenbedingungen wider.

Die Mindestreserve (Reserve Requirement)

Definition und Funktion:

Die Mindestreserve, auch als Pflichtreserve bekannt, ist der Prozentsatz der Einlagen, den Geschäftsbanken gesetzlich als Reserve bei der Zentralbank halten müssen. Sie ist ein Instrument der Geldpolitik. Ihre Hauptfunktionen sind:

  • Liquiditätssteuerung: Sie soll sicherstellen, dass Banken immer über eine Mindestliquidität verfügen, um kurzfristige Abhebungen und Zahlungen abwickeln zu können.
  • Geldmengensteuerung: Durch die Anpassung des Mindestreservesatzes kann die Zentralbank direkten Einfluss auf die Kreditvergabefähigkeit der Banken und damit auf den Geldmultiplikator und die gesamte Geldmenge nehmen.
  • Marktstabilisierung: Sie kann zur Glättung kurzfristiger Zinsvolatilität beitragen.

Einfluss auf den Multiplikator und die Geldpolitik:

Ein höherer Mindestreservesatz bedeutet, dass Banken einen größeren Teil ihrer Einlagen als Reserve halten müssen und weniger für die Kreditvergabe zur Verfügung steht. Dies reduziert den Wert des Geldmultiplikators (r im Nenner wird größer, also m kleiner) und begrenzt die potenzielle Geldschöpfung. Umgekehrt führt eine Senkung des Mindestreservesatzes zu einem größeren Multiplikator und fördert die Kreditvergabe.

Historische Entwicklung und aktuelle Relevanz (EZB, Fed):

In der Vergangenheit war die Mindestreserve ein sehr wichtiges Instrument der Geldpolitik. Viele Zentralbanken nutzten sie aktiv zur Steuerung der Geldmenge. Beispielsweise senkte die Federal Reserve in den USA ihre Mindestreservesätze im Laufe der Zeit erheblich und setzte sie im März 2020 für alle Einlagen auf null. Die Begründung war, dass andere Instrumente wie die Zinsen auf Überschussreserven und Offenmarktgeschäfte effektiver zur Steuerung des Leitzinses und der Geldmenge seien.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ebenfalls Änderungen vorgenommen. Seit 2012 liegt der Mindestreservesatz bei der EZB bei 1% der relevanten Einlagen, zuvor lag er bei 2%. Während der Finanzkrise und den darauf folgenden Zeiten der extrem lockeren Geldpolitik wurde der Fokus der Zentralbanken eher auf die Steuerung der Zinsen und die Bereitstellung von reichlicher Liquidität durch Offenmarktgeschäfte verlagert, da die Banken oft weit über die Mindestreserve hinaus Reserven hielten. Die Mindestreserve hat dadurch an direkter Bedeutung als primäres Steuerungsinstrument der Geldmenge etwas verloren, bleibt aber ein regulatorischer Rahmen und ein potenzielles Instrument in Zeiten, in denen Banken knapp an Reserven sind.

Die Bargeldabflussquote (Currency Drain Ratio)

Warum halten Menschen Bargeld?

Die Bargeldabflussquote (c) spiegelt das Verhältnis des von der Öffentlichkeit gehaltenen Bargeldes zu den Sichteinlagen wider. Sie ist eine Verhaltenskomponente. Menschen halten Bargeld aus verschiedenen Gründen:

  • Transaktionsmotiv: Für kleine tägliche Einkäufe, wo Kartenzahlung unpraktisch ist.
  • Vorsichtsmotiv: Als Puffer für unerwartete Ausgaben oder Notfälle.
  • Spekulationsmotiv: In Zeiten negativer Zinsen auf Einlagen kann die Bargeldhaltung attraktiver werden.
  • Informeller Sektor: Für illegale oder undeklarierte Transaktionen.
  • Geringes Vertrauen ins Bankensystem: In Krisenzeiten kann die Bargeldhaltung aus Angst vor Bankzusammenbrüchen stark ansteigen.

Auswirkungen auf den Multiplikator:

Wenn die Öffentlichkeit einen höheren Anteil an Bargeld hält, bedeutet dies, dass weniger Geld im Bankensystem verbleibt, um als Einlagen zu dienen und den Multiplikationsprozess fortzusetzen. Jedes Mal, wenn ein Teil des geschöpften Giralgeldes in Bargeld umgewandelt und dem Bankensystem entzogen wird, „leckt“ es aus dem Multiplikationsprozess. Eine höhere Bargeldabflussquote (größerer Wert für c im Nenner der Formel, und im Zähler, aber der Effekt im Nenner ist dominanter) verringert den Wert des Geldmultiplikators.

Verhalten der Öffentlichkeit als limitierender Faktor:

Das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Bankensystem und die Präferenz für Bargeld versus digitale Zahlungen sind daher wichtige, von der Zentralbank nicht direkt steuerbare Faktoren. In einer Finanzkrise, wenn das Vertrauen schwindet, kann ein „Bank-Run“ stattfinden, bei dem viele Menschen versuchen, ihre Einlagen in Bargeld umzuwandeln. Dies führt zu einem massiven Abfluss von Reserven aus den Banken und einer drastischen Schrumpfung der Geldbasis, was den Multiplikator weiter einschränkt und die Geldmenge kontrahiert.

Die Überschussreserven der Banken (Excess Reserves of Banks)

Warum halten Banken Überschussreserven?

Überschussreserven (e) sind Reserven, die Banken freiwillig über die gesetzlich vorgeschriebene Mindestreserve hinaus bei der Zentralbank halten. Es gibt mehrere Gründe dafür:

  • Vorsichtsmotiv: Banken halten Überschussreserven als Liquiditätspuffer, um unerwartete Abzüge von Einlagen oder hohe Kreditnachfragen abzufedern.
  • Regulatorische Anforderungen: Über die Mindestreserve hinaus können spezifische Liquiditätsvorschriften (z.B. Basel III) Banken dazu anhalten, zusätzliche Liquidität vorzuhalten.
  • Mangelnde Kreditnachfrage: Wenn es an profitablen Kreditmöglichkeiten mangelt, können Banken ihre Überschussreserven einfach bei der Zentralbank parken, anstatt Kredite zu vergeben.
  • Zinssätze für Einlagen bei der Zentralbank: Wenn die Zentralbank Zinsen auf Überschussreserven zahlt, kann dies ein Anreiz für Banken sein, Geld bei der Zentralbank zu halten, anstatt es in den Kreditmarkt zu pumpen. Bei negativen Zinsen, wie sie die EZB lange Zeit praktizierte, wurde es teuer, Überschussreserven zu halten, was einen Anreiz zur Kreditvergabe schaffen sollte.

Einfluss der Zentralbankzinspolitik (Zins auf Einlagen):

Die Zentralbank kann die Höhe der Überschussreserven indirekt über die Zinsen beeinflussen, die sie auf die Einlagen der Geschäftsbanken zahlt (oder verlangt). Ein höherer Zinssatz auf Überschussreserven macht es für Banken attraktiver, Geld bei der Zentralbank zu halten, was die Kreditvergabe und damit den Multiplikator reduziert. Dies ist ein wichtiges Instrument, insbesondere in Zeiten großer Liquiditätsüberschüsse im Bankensystem, wo die traditionelle Steuerung über die Mindestreserve weniger wirksam ist.

Auswirkungen auf den Multiplikator und die Kreditvergabe:

Eine Erhöhung der Überschussreserven (größerer Wert für e im Nenner) reduziert den Geldmultiplikator. Wenn Banken mehr Reserven halten, als sie müssten, bedeutet dies, dass ein geringerer Anteil der Einlagen für die Kreditvergabe zur Verfügung steht. Dies ist besonders relevant in Zeiten von Wirtschaftskrisen oder Unsicherheit, wenn Banken risikobereiter werden und weniger geneigt sind, Kredite zu vergeben, oder wenn die Kreditnachfrage schwach ist. In solchen Phasen kann der Geldmultiplikator erheblich unter seinem theoretischen Maximum liegen.

Die Kreditnachfrage (Credit Demand)

Die Rolle der Nachfrageseite:

Der Geldmultiplikator beschreibt das potenzielle Ausmaß der Geldschöpfung, das auf der Angebotsseite (Banken) basiert. Doch Banken können nur Kredite vergeben, wenn es auch eine entsprechende Nachfrage danach gibt. Ohne Kreditnachfrage bleibt der Multiplikationsprozess ungenutzt, selbst wenn Banken über reichlich Reserven verfügen.

Wirtschaftliche Stimmung und Investitionsbereitschaft:

Die Kreditnachfrage hängt stark von der allgemeinen Wirtschaftsstimmung ab. In Zeiten des Aufschwungs und des Optimismus sind Unternehmen eher bereit, Kredite für Investitionen aufzunehmen, und private Haushalte sind eher bereit, Kredite für Konsumausgaben oder den Immobilienkauf aufzunehmen. In Rezessionen oder Phasen der Unsicherheit hingegen sinkt die Kreditnachfrage oft, da Unternehmen ihre Investitionspläne zurückstellen und Haushalte vorsichtiger werden.

Begrenzung der Geldschöpfung durch mangelnde Nachfrage:

Wenn die Kreditnachfrage schwach ist, kann die Zentralbank die Geldbasis noch so stark ausweiten, die Geldmenge M1, M2 oder M3 wird nicht im gleichen Maße wachsen, weil die Banken die zusätzlichen Reserven nicht in neue Kredite umwandeln können. Dies ist ein entscheidender Punkt für die Effektivität der Geldpolitik, insbesondere in einer Liquiditätsfalle, in der selbst niedrige Zinsen die Kreditnachfrage nicht ankurbeln können. In solchen Szenarien kann der Multiplikator deutlich kleiner sein als sein theoretisches Maximum.

Die Liquiditätspräferenz der Geschäftsbanken (Liquidity Preference of Commercial Banks)

Risikoaversion und Kreditvergabebereitschaft:

Unabhängig von der Nachfrage und den Reserven haben Banken ihre eigene Liquiditätspräferenz. In unsicheren Zeiten oder bei erhöhtem Risiko (z.B. nach einer Finanzkrise) neigen Banken dazu, vorsichtiger zu sein. Sie könnten höhere Sicherheiten für Kredite verlangen, strengere Kreditvergabekriterien anwenden oder einfach mehr Liquidität halten, um potenzielle Verluste abzufedern. Diese Risikoaversion reduziert ihre Bereitschaft, Kredite zu vergeben, selbst wenn die Nachfrage da wäre und sie über die notwendigen Reserven verfügen.

Regulatorische Vorgaben (Basel III):

Die regulatorischen Rahmenbedingungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Nach der Finanzkrise 2008/2009 wurden die Basel-III-Vorschriften eingeführt, die Banken dazu verpflichten, höhere Eigenkapitalquoten und Liquiditätspuffer vorzuhalten. Diese Vorschriften sollen die Stabilität des Finanzsystems erhöhen, können aber auch dazu führen, dass Banken tendenziell weniger Kredite vergeben, um die strengeren Anforderungen zu erfüllen. Dies kann den Geldmultiplikator einschränken, da Banken weniger ihrer Einlagen in Kredite umwandeln.

Internationaler Kapitalverkehr (International Capital Flows)

Ein- und Abflüsse von Kapital:

In einer globalisierten Weltwirtschaft können internationale Kapitalströme den Geldmultiplikator beeinflussen. Ein erheblicher Zufluss von ausländischem Kapital (z.B. durch ausländische Investitionen oder den Kauf von Staatsanleihen durch Ausländer) kann die Reserven im heimischen Bankensystem erhöhen und somit potenziell die Geldbasis und die Geldschöpfung ankurbeln. Umgekehrt können Kapitalabflüsse die Reserven reduzieren und den Multiplikationsprozess dämpfen.

Auswirkungen auf die Geldbasis und den Multiplikator:

Wenn ausländische Investoren beispielsweise Wertpapiere im Inland kaufen, bezahlen sie diese in der Regel mit heimischer Währung, die sie zuvor erworben haben. Dies führt zu einer Einlage bei einer heimischen Bank, was die Reserven der Bank erhöht und ihr Potenzial für die Kreditvergabe steigert. Zentralbanken können versuchen, diese Effekte durch Sterilisierungsoperationen zu neutralisieren, aber der internationale Kapitalverkehr bleibt eine externe Kraft, die die Steuerung des Geldmultiplikators komplexer macht.

All diese Faktoren wirken zusammen und machen die Vorhersage der genauen Größe des Geldmultiplikators zu einer Herausforderung. Die Zentralbank kann zwar die Geldbasis steuern, aber die Umwandlung dieser Basis in die breitere Geldmenge hängt maßgeblich von den Entscheidungen der Banken und der Öffentlichkeit ab.

Der monetäre Multiplikator in der Geldpolitik

Der monetäre Multiplikator ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt zur Erklärung der Geldschöpfung, sondern auch ein entscheidendes Konzept für die Geldpolitik der Zentralbanken. Er hilft den Zentralbanken zu verstehen, wie ihre Instrumente die Geldmenge beeinflussen und somit die Preisstabilität und das Wirtschaftswachstum.

Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank

Zentralbanken nutzen verschiedene Instrumente, um die Geldbasis und indirekt den Geldmultiplikator und damit die gesamte Geldmenge zu beeinflussen:

  1. Offenmarktgeschäfte (Open Market Operations):

    Dies ist das primäre und flexibelste Instrument der Zentralbanken. Offenmarktgeschäfte umfassen den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren (häufig Staatsanleihen) durch die Zentralbank auf dem offenen Markt.

    • Kauf von Wertpapieren: Wenn die Zentralbank Wertpapiere von Geschäftsbanken kauft, schreibt sie den Banken im Gegenzug Reserven auf ihren Konten bei der Zentralbank gut. Dies erhöht die Geldbasis und die Liquidität im Bankensystem. Eine höhere Geldbasis (MB) hat das Potenzial, über den Multiplikator eine größere Geldmenge (M) zu erzeugen, vorausgesetzt, Banken vergeben Kredite.
    • Verkauf von Wertpapieren: Wenn die Zentralbank Wertpapiere an Geschäftsbanken verkauft, reduzieren sich die Reserven der Banken bei der Zentralbank. Dies verringert die Geldbasis und zieht Liquidität aus dem System ab, was tendenziell die Geldschöpfung durch den Multiplikator bremst.

    Offenmarktgeschäfte werden täglich oder wöchentlich durchgeführt, um das Zinsniveau am Interbankenmarkt zu steuern und die Bereitstellung von Liquidität an die Bedürfnisse des Systems anzupassen. Sie sind der effektivste Weg, die Geldbasis direkt zu beeinflussen.

  2. Änderung des Leitzinses (Policy Rate):

    Der Leitzins (z.B. der Hauptrefinanzierungssatz der EZB oder der Federal Funds Rate Target der Fed) ist der Zinssatz, zu dem Banken sich kurzfristig Geld von der Zentralbank leihen können oder zu dem sie überschüssige Reserven bei der Zentralbank anlegen.

    • Senkung des Leitzinses: Ein niedrigerer Leitzins macht es für Banken billiger, sich Liquidität zu beschaffen. Dies kann die Kreditvergabe attraktiver machen, da die Refinanzierungskosten sinken. Es kann auch die Opportunitätskosten der Haltung von Überschussreserven senken (falls Zinsen auf Einlagen auch sinken), was Banken dazu ermutigt, diese Reserven in Kredite umzuwandeln. Ein niedrigerer Leitzins kann somit den Überschussreservesatz (e) und indirekt die Bargeldabflussquote (c) beeinflussen (wenn Einlagen unattraktiver werden), was den Multiplikator potenziell erhöht.
    • Erhöhung des Leitzinses: Ein höherer Leitzins verteuert die Kreditaufnahme für Banken und macht die Haltung von Überschussreserven attraktiver (wenn Zinsen auf Einlagen steigen). Dies bremst die Kreditvergabe und kann den Multiplikator reduzieren.

    Der Leitzins beeinflusst also die Anreize für Banken, Kredite zu vergeben und Reserven zu halten, was sich auf die Komponenten des Multiplikators auswirkt.

  3. Änderung der Mindestreservesätze:

    Wie bereits besprochen, wirkt sich die Mindestreserve (r) direkt auf den Multiplikator aus.

    • Senkung des Mindestreservesatzes: Banken müssen einen geringeren Anteil ihrer Einlagen als Reserve halten und können einen größeren Teil als Kredite vergeben. Dies erhöht den Multiplikator (1/r steigt, oder r im Nenner der erweiterten Formel wird kleiner) und stimuliert die Geldschöpfung.
    • Erhöhung des Mindestreservesatzes: Banken müssen mehr Reserven halten, was ihre Kreditvergabefähigkeit einschränkt und den Multiplikator reduziert.

    Dieses Instrument wird heute seltener und vorsichtiger eingesetzt, da auch kleine Änderungen große Auswirkungen auf die Liquidität im System haben können und Banken Zeit brauchen, sich anzupassen. Viele Zentralbanken haben die Mindestreservesätze entweder sehr niedrig angesetzt oder ganz abgeschafft.

  4. Forward Guidance und Quantitative Easing/Tightening:

    In jüngster Zeit haben Zentralbanken erweiterte Instrumente genutzt:

    • Forward Guidance: Die Kommunikation der Zentralbank über ihre zukünftigen geldpolitischen Absichten. Sie soll Erwartungen beeinflussen und die Wirksamkeit anderer Instrumente verstärken. Wenn Banken und Märkte glauben, dass Zinsen lange niedrig bleiben, sind sie eher bereit, Kredite zu vergeben und Investitionen zu tätigen.
    • Quantitative Easing (QE) / Quantitative Tightening (QT): QE ist ein groß angelegter Ankauf von Wertpapieren (nicht nur von Banken, sondern auch vom Nichtbanken-Sektor) durch die Zentralbank, um die Geldbasis massiv zu erhöhen, langfristige Zinsen zu senken und die Kreditvergabe zu stimulieren. QT ist der umgekehrte Prozess, bei dem die Zentralbank ihre Bilanz schrumpft, um Liquidität abzuziehen. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Geldbasis zu verändern und damit über den Multiplikator die breitere Geldmenge zu beeinflussen, insbesondere wenn die traditionellen Zinsinstrumente an ihre Nullzinsgrenze stoßen.

    Diese Instrumente wirken auf die Geldbasis (MB) und indirekt auf die Komponenten des Multiplikators (c, r, e), indem sie die Anreize und Erwartungen der Banken und der Öffentlichkeit beeinflussen.

Grenzen der Steuerbarkeit des Geldmultiplikators

Trotz der vielfältigen Instrumente ist die Zentralbank nicht allmächtig in ihrer Fähigkeit, die Geldmenge über den Multiplikator zu steuern. Es gibt erhebliche Grenzen:

  1. Verhaltensänderungen der Banken und der Öffentlichkeit:

    Die größte Unsicherheit liegt in der Reaktion der Banken und der Öffentlichkeit.

    • Banken: Auch wenn die Zentralbank die Geldbasis erhöht, kann dies unwirksam bleiben, wenn Banken aus Risikoaversion (z.B. in einer Krise) oder mangelnder Kreditnachfrage keine Kredite vergeben und stattdessen ihre Überschussreserven halten (Anstieg von e). Dieses Phänomen wird manchmal als „Pushing on a string“ (auf eine Schnur schieben) bezeichnet – man kann die Wirtschaft stimulieren, indem man die Liquidität bereitstellt, aber man kann sie nicht zwingen, diese zu nutzen.
    • Öffentlichkeit: Eine erhöhte Präferenz für Bargeld (Anstieg von c) kann den Multiplikator verringern, selbst wenn die Zentralbank die Geldbasis ausweitet. Auch die fehlende Kreditnachfrage der Unternehmen und Haushalte kann den Multiplikationsprozess unterbrechen.

    In der Finanzkrise 2008 und während der COVID-19-Pandemie sahen wir, wie die Zentralbanken die Geldbasis massiv ausweiteten, aber der Geldmultiplikator sank, da Banken große Mengen an Überschussreserven hielten und die Kreditnachfrage schwach war oder die Kreditvergabestandards verschärft wurden.

  2. Globalisierung der Finanzmärkte:

    Internationale Kapitalströme können die Kontrolle der heimischen Zentralbank über die Geldbasis und den Multiplikator erschweren. Unkontrollierte Zu- oder Abflüsse von Kapital können zu unerwünschten Schwankungen der Geldmenge führen.

  3. Vertrauenskrisen und Liquiditätsfallen:

    In schweren Krisen kann das Vertrauen in das Bankensystem oder die Wirtschaft so stark erodieren, dass die Kreditmärkte einfrieren. Banken leihen sich gegenseitig kein Geld mehr, und Unternehmen und Haushalte sind nicht bereit, Kredite aufzunehmen oder Investitionen zu tätigen. Eine Zentralbank kann dann zwar reichlich Liquidität bereitstellen (Erhöhung der Geldbasis), aber wenn der Multiplikator (aufgrund hoher Überschussreserven, Bargeldhaltung oder mangelnder Kreditnachfrage) gegen Null tendiert, kann die Geldpolitik unwirksam werden. Dies ist das Konzept der Liquiditätsfalle.

Kritik am traditionellen Geldmultiplikator-Modell

In den letzten Jahrzehnten hat sich in der ökonomischen Forschung und unter Zentralbankern eine kritischere Sicht auf das traditionelle Geldmultiplikator-Modell entwickelt.

  1. Endogene vs. exogene Geldschöpfung:

    Das traditionelle Modell des Geldmultiplikators impliziert eine exogene Geldschöpfung: Die Zentralbank steuert die Geldbasis (exogen), und dies bestimmt über den Multiplikator die breitere Geldmenge. Kritiker, insbesondere post-keynesianische Ökonomen, argumentieren, dass die Geldschöpfung weitgehend endogen ist, d.h., sie wird primär durch die Kreditnachfrage und das Kreditangebot der Geschäftsbanken bestimmt, nicht durch die von der Zentralbank geschaffene Geldbasis.

    • Die Zentralbank reagiert auf die Nachfrage der Banken nach Reserven, die durch ihre Kreditvergabe entsteht, anstatt die Kreditvergabe durch die Bereitstellung von Reserven zu initiieren. Banken vergeben Kredite zuerst und suchen dann bei der Zentralbank die benötigten Reserven. Die Zentralbank muss diese Reserven bereitstellen, um das Zahlungssystem aufrechtzuerhalten und ihre Zinsziele zu erreichen.
    • In diesem Modell ist der Zusammenhang umgekehrt: Kredite schaffen Einlagen, und diese Einlagen erfordern Reserven. Die Zentralbank agiert eher als Liquiditätsmanager, der das Finanzsystem stabilisiert, als ein direkter Kontrolleur der Geldmenge.
  2. Das Kreditangebot als treibende Kraft:

    In modernen Interpretationen wird stärker betont, dass die Kreditvergabe der Banken die treibende Kraft der Geldschöpfung ist. Banken prüfen Kreditanträge basierend auf Rentabilität und Risiko. Wenn sie einen Kredit vergeben, schaffen sie eine Einlage, die die Geldmenge erhöht. Die erforderlichen Reserven werden oft erst im Nachhinein über den Interbankenmarkt oder die Zentralbank beschafft. Dies stellt die Kausalität des traditionellen Multiplikators in Frage.

  3. Moderne Sichtweisen auf die Geldschöpfung:

    Viele Zentralbanken, darunter die Bank of England und die Bundesbank, haben in den letzten Jahren eigene Erklärungen zur Geldschöpfung veröffentlicht, die die Rolle der Geschäftsbanken bei der Schaffung von Buchgeld stärker hervorheben. Sie betonen, dass Banken nicht nur Intermediäre sind, die Sparer und Kreditnehmer zusammenbringen, sondern aktive Schöpfer von Geld. Der Geldmultiplikator wird dabei eher als eine vereinfachte Darstellung verstanden, die die Interdependenz zwischen Geldbasis und breiterer Geldmenge aufzeigt, aber nicht unbedingt den kausalen Prozess der Geldschöpfung im Detail beschreibt.

Trotz dieser Kritik bleibt das Konzept des Geldmultiplikators ein nützliches Rahmenwerk, um die potenziellen Auswirkungen von Änderungen der Geldbasis auf die breitere Geldmenge zu verstehen und die Faktoren zu analysieren, die diese Beziehung beeinflussen. Es ist eine wertvolle Heuristik, um die Komplexität der Geldschöpfung zu erfassen, auch wenn es die Realität nicht in allen Nuancen perfekt abbildet.

Praktische Implikationen und Anwendungsfälle

Das Verständnis des monetären Multiplikators ist nicht nur eine akademische Übung, sondern hat tiefgreifende praktische Implikationen für die Wirtschaftspolitik, die Finanzmärkte und unser tägliches Leben. Die Dynamik der Geldschöpfung beeinflusst alles von den Preisen, die wir bezahlen, bis hin zur Verfügbarkeit von Krediten für Unternehmen und Haushalte.

Inflation und Deflation

Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau:

Ein zentraler Anwendungsfall des Geldmultiplikators liegt in der Analyse von Inflation und Deflation. Die Quantitätstheorie des Geldes besagt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Geldmenge im Umlauf und dem allgemeinen Preisniveau gibt, unter der Annahme einer konstanten Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und eines konstanten realen Outputs. Wenn die Geldmenge schneller wächst als die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, führt dies tendenziell zu Inflation (Geld verliert an Wert, Preise steigen). Umgekehrt kann eine schrumpfende Geldmenge Deflation verursachen (Preise fallen, Geld gewinnt an Wert).

Der Geldmultiplikator ist hier entscheidend, weil er erklärt, wie eine relativ kleine Änderung der Geldbasis durch die Zentralbank zu einer viel größeren Änderung der gesamten Geldmenge führen kann.

  • Inflation: Wenn der Multiplikator groß ist und die Zentralbank die Geldbasis stark ausweitet, kann dies zu einem erheblichen Anstieg der Geldmenge führen. Wenn diese Geldmenge nicht durch ein entsprechendes Wachstum der realen Wirtschaft untermauert wird, steigt die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen über das Angebot hinaus, was zu Preissteigerungen führt. Die massive Geldbasisexpansion während der COVID-19-Pandemie in vielen Ländern, kombiniert mit Lieferkettenproblemen und einer starken Nachfrageerholung, trug zu einer erhöhten Inflationsrate bei.
  • Deflation: In Zeiten der Krise, wenn der Multiplikator schrumpft (z.B. weil Banken Überschussreserven horten, die Kreditnachfrage sinkt und die Öffentlichkeit Bargeld abzieht), kann die gesamte Geldmenge trotz Bemühungen der Zentralbank zur Erhöhung der Geldbasis stagnieren oder sogar schrumpfen. Eine schrumpfende Geldmenge kann zu einer Abnahme der Gesamtnachfrage führen, was wiederum Druck auf die Preise nach unten ausübt und Deflation verursacht. Deflation kann sehr gefährlich sein, da sie Investitionen und Konsum hemmt, da Verbraucher Preisrückgänge erwarten und Einkäufe aufschieben.

Wirtschaftswachstum und Rezession

Bedeutung einer adäquaten Geldversorgung:

Die Verfügbarkeit von Geld und Krediten ist entscheidend für das Wirtschaftswachstum. Kredite finanzieren Investitionen in neue Maschinen, Technologien und Unternehmen, die wiederum Arbeitsplätze schaffen und die Produktivität steigern.

  • Wachstumsförderung: Eine adäquate und wachsende Geldmenge, die durch einen stabilen Geldmultiplikator unterstützt wird, kann die Finanzierung von Investitionen und Konsum erleichtern. Wenn Banken bereit sind, Kredite zu vergeben, und die Nachfrage nach Krediten besteht, kann dies die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln und zu Wirtschaftswachstum führen. Zentralbanken versuchen, über ihre Geldpolitik (Änderung der Geldbasis und Beeinflussung des Multiplikators) die Geldmenge so zu steuern, dass sie ein nachhaltiges, nicht-inflationäres Wachstum unterstützt.
  • Rezession: In einer Rezession schrumpft der Geldmultiplikator oft, da die Kreditnachfrage sinkt, Banken vorsichtiger werden und möglicherweise Überschussreserven anhäufen. Dies führt zu einer Kontraktion der Geldmenge oder einem stark verlangsamten Wachstum, was die wirtschaftliche Aktivität weiter lähmt. Banken könnten aufgrund der Verschlechterung der Vermögensqualität in ihrer Bilanz auch gezwungen sein, Kredite zurückzurufen, was den Multiplikator noch weiter reduziert. Dieser Teufelskreis kann eine Rezession vertiefen und verlängern.

Finanzstabilität

Risiken bei übermäßiger Geldschöpfung:

Eine unkontrollierte oder übermäßige Geldschöpfung, die durch einen großen und ungesteuerten Multiplikator ermöglicht wird, birgt erhebliche Risiken für die Finanzstabilität:

  • Asset-Bubbles: Ein Überschuss an Liquidität kann sich in bestimmten Vermögensmärkten (z.B. Immobilien, Aktien) ansammeln und zu Spekulationsblasen führen, deren Platzen schwere finanzielle Krisen auslösen kann.
  • Überhitzung der Wirtschaft: Zu viel Geld kann zu einer übermäßigen Nachfrage führen, die die Produktionskapazitäten übersteigt und Inflation anheizt. Dies kann Zentralbanken zwingen, die Zinsen drastisch zu erhöhen, was wiederum zu einem plötzlichen Rückgang der Kreditvergabe und einer Rezession führen kann.
  • Fehlallokation von Kapital: Billiges und reichliches Geld kann zu einer Fehlallokation von Kapital führen, indem es unproduktive Investitionen fördert und „Zombie-Unternehmen“ am Leben erhält, was die langfristige Produktivität der Wirtschaft mindert.

Regulierungsbehörden und Zentralbanken überwachen daher den Kreditmarkt und die Geldmengenausweitung genau, um Anzeichen für Instabilität frühzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Analyse von Finanzkrisen

Wie schrumpft der Multiplikator in Krisen?

Das Konzept des Geldmultiplikators ist besonders aufschlussreich bei der Analyse von Finanzkrisen, wie der globalen Finanzkrise von 2008 oder der Eurokrise.

  • Vertrauensverlust: In einer Krise sinkt das Vertrauen in die Banken und die allgemeine Wirtschaft. Dies führt dazu, dass sowohl Banken als auch die Öffentlichkeit ihr Verhalten ändern:
    • Erhöhung der Überschussreserven (e steigt): Banken werden risikoscheuer und leihen sich gegenseitig weniger Geld. Sie halten stattdessen größere Mengen an Überschussreserven bei der Zentralbank als Sicherheitspuffer.
    • Erhöhung der Bargeldabflussquote (c steigt): Die Öffentlichkeit zieht Geld in Form von Bargeld ab, aus Angst vor einem Bankenzusammenbruch oder weil sie kein Vertrauen in das digitale Zahlungssystem haben.
    • Rückgang der Kreditnachfrage: Unternehmen und Haushalte sind pessimistisch und reduzieren ihre Nachfrage nach Krediten.
  • Kontraktion des Multiplikators: Alle diese Faktoren führen dazu, dass der Nenner in der Multiplikatorformel (r + e + c) größer wird, was den Multiplikator drastisch reduziert. Selbst wenn die Zentralbank die Geldbasis durch massive Liquiditätsspritzen (wie QE) stark ausweitet, kann die breitere Geldmenge nur begrenzt wachsen, oder sie schrumpft sogar. Dies macht die Geldpolitik weniger wirksam und kann die Krise verschärfen.
  • „Deleveraging“: In einer Krise kommt es oft zu einem „Deleveraging“-Prozess, bei dem Unternehmen und Haushalte ihre Schulden abbauen. Dies bedeutet eine geringere Kreditaufnahme und oft auch die Rückzahlung bestehender Kredite, was die Geldmenge weiter schrumpfen lässt, da mit jeder Kreditrückzahlung Giralgeld „vernichtet“ wird.

Das Verständnis dieser Dynamik hilft Zentralbanken und Regierungen, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Funktionsfähigkeit des Geldmultiplikators wiederherzustellen und eine schwere wirtschaftliche Kontraktion zu verhindern. Dies kann Bankenrettungen, staatliche Bürgschaften für Kredite oder die Bereitstellung unbegrenzter Liquidität durch die Zentralbank umfassen, um das Vertrauen wiederherzustellen.

Zukünftige Entwicklungen und der Geldmultiplikator

Die Finanzwelt ist ständig im Wandel, angetrieben durch technologische Innovationen und neue regulatorische Ansätze. Diese Entwicklungen haben das Potenzial, die Art und Weise, wie Geld geschaffen und zirkuliert, grundlegend zu verändern, und damit auch die Relevanz und Funktionsweise des monetären Multiplikators.

Digitale Währungen der Zentralbanken (CBDCs)

Eines der derzeit meistdiskutierten Themen ist die Einführung digitaler Währungen durch Zentralbanken (Central Bank Digital Currencies, CBDCs). Ein CBDC wäre eine digitale Form von Zentralbankgeld, die direkt der Öffentlichkeit zur Verfügung stünde, ähnlich wie Bargeld, aber in digitaler Form. Dies würde eine völlig neue Dimension im Geldsystem schaffen.

Potenzielle Auswirkungen auf den Geldmultiplikator:

Die Einführung eines CBDC könnte den Geldmultiplikator auf verschiedene Weise beeinflussen, abhängig von seinem Design:

  • Direkter Zugang zu Zentralbankgeld: Wenn die Öffentlichkeit die Möglichkeit hätte, ihr Geld direkt bei der Zentralbank in Form von CBDC zu halten, könnte dies die Rolle der Geschäftsbanken als primäre Halter von Sichteinlagen verändern. Bei einer Krise könnten Kunden massenhaft ihre Einlagen von Geschäftsbanken in CBDC umwandeln („digitaler Bank-Run“), was die Reserven der Geschäftsbanken drastisch reduzieren würde. Dies könnte den Multiplikator stark einschränken, da die Geldbasis vom Bankensystem abgezogen würde.
  • Verringerung der Bargeldhaltung: Ein effizientes CBDC könnte die Präferenz für physisches Bargeld verringern (c sinkt). Dies würde tendenziell den Multiplikator erhöhen, da mehr Geld im digitalen System verbleibt.
  • Direkte Geldpolitik: Ein CBDC könnte der Zentralbank neue Möglichkeiten für die direkte Umsetzung der Geldpolitik eröffnen, z.B. durch direkte Zinsen auf CBDC-Guthaben oder sogar die direkte Ausschüttung von „Helikoptergeld“. Dies könnte die Abhängigkeit vom Geldmultiplikator als Transmissionsmechanismus verringern, da die Zentralbank nicht mehr nur über die Geldbasis und die Anreize für Banken agieren müsste.
  • Rolle der Geschäftsbanken: Die Einführung eines CBDC könnte das Geschäftsmodell der Geschäftsbanken untergraben, insbesondere wenn große Teile der Einlagenbasis verschoben werden. Dies könnte ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe und damit den Multiplikationsprozess beeinträchtigen. Die Zentralbanken sind sich dieser Risiken bewusst und prüfen Modelle, bei denen Geschäftsbanken weiterhin eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von CBDC-Dienstleistungen spielen, um die Finanzstabilität zu gewährleisten.

Blockchain und Distributed Ledger Technologies

Technologien wie Blockchain, die Distributed Ledger Technologies (DLT) zugrunde liegen, haben das Potenzial, die Art und Weise, wie Finanztransaktionen abgewickelt werden, zu revolutionieren. Sie ermöglichen dezentrale und transparente Aufzeichnung von Transaktionen ohne eine zentrale Autorität.

Auswirkungen auf die Rolle der Geschäftsbanken und den Multiplikator:

Obwohl der Kernprozess der Geldschöpfung durch Kreditvergabe bestehen bleiben könnte, könnten DLTs bestimmte Aspekte des Multiplikators beeinflussen:

  • Effizienz der Interbankenabwicklung: DLT könnte die Abwicklung von Interbankentransaktionen effizienter und kostengünstiger machen. Dies könnte den Bedarf an übermäßigen Reserven (e) bei den Banken reduzieren, da Liquidität schneller und genauer verschoben werden kann, was den Multiplikator potenziell erhöhen würde.
  • Tokenisiertes Buchgeld: Es ist denkbar, dass Geschäftsbanken in Zukunft „tokenisiertes Buchgeld“ auf DLT-Plattformen emittieren, was neue Formen von Bankeinlagen und Zahlungsmethoden ermöglicht. Dies würde die Funktionsweise des Giralgeldes modernisieren, aber die zugrunde liegenden Prinzipien der Geldschöpfung durch Kreditvergabe blieben bestehen.
  • Stablecoins: Die Verbreitung von Stablecoins, die von privaten Emittenten herausgegeben und durch traditionelle Währungen oder Vermögenswerte gedeckt sind, könnte ebenfalls Auswirkungen haben. Wenn Stablecoins als Zahlungsmittel weithin akzeptiert werden, könnten sie eine alternative Form von Geld darstellen, die außerhalb des traditionellen Multiplikationsprozesses von Geschäftsbanken existiert und die Kontrolle der Zentralbank über die Geldmenge erschwert.
  • Dezentrale Finanzierung (DeFi): Im Bereich der dezentralen Finanzierung entstehen Plattformen, die Kreditvergabe und andere Finanzdienstleistungen ohne traditionelle Banken ermöglichen. Sollten diese Systeme signifikante Marktanteile gewinnen, könnten sie einen parallelen Geldschöpfungsmechanismus außerhalb des traditionellen Bankensystems schaffen, was die Relevanz des herkömmlichen Geldmultiplikators für die Gesamtgeldmenge mindern würde.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Entwicklungen noch in den Kinderschuhen stecken und ihre langfristigen Auswirkungen auf das traditionelle Geldsystem und den monetären Multiplikator Gegenstand intensiver Forschung und Debatte sind. Die regulatorischen Herausforderungen sind enorm, und Zentralbanken werden versuchen, Innovationen zu fördern, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Das grundlegende Verständnis, wie Geld geschaffen wird und welche Faktoren diesen Prozess beeinflussen, bleibt jedoch auch in einem sich wandelnden Umfeld von größter Bedeutung.

Zusammenfassung

Der monetäre Multiplikator ist ein essenzielles Konzept, um die Dynamik der Geldschöpfung in modernen Volkswirtschaften zu verstehen. Er erklärt, wie eine von der Zentralbank kontrollierte Geldbasis durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken zu einer weitaus größeren Geldmenge im Umlauf führt. Die Formel des Multiplikators – m = (1 + c) / (r + e + c) – beleuchtet die entscheidenden Einflussfaktoren: den Mindestreservesatz (r), die Bargeldabflussquote der Öffentlichkeit (c) und die Überschussreserven der Banken (e).

Die Zentralbank steuert die Geldbasis hauptsächlich über Offenmarktgeschäfte und kann über ihre Leitzinspolitik und gegebenenfalls die Mindestreservepflicht die Anreize für Banken und die Öffentlichkeit beeinflussen. Jedoch ist die Steuerbarkeit des Multiplikators begrenzt durch das Verhalten der Banken (ihre Liquiditätspräferenz und Kreditvergabebereitschaft), die Kreditnachfrage der Wirtschaft und externe Schocks wie internationale Kapitalflüsse oder Vertrauenskrisen. In Krisenzeiten kann der Multiplikator stark schrumpfen, da Banken Reserven horten und die Kreditnachfrage einbricht, wodurch die Wirksamkeit der Geldpolitik eingeschränkt wird.

Trotz kritischer Betrachtungen, die eine endogene Geldschöpfung durch Kreditvergabe betonen, bleibt der Geldmultiplikator ein nützliches Analyseinstrument. Er hilft, die Zusammenhänge zwischen Geldmenge, Inflation, Deflation, Wirtschaftswachstum und Finanzstabilität zu verstehen. Zukünftige Entwicklungen wie Digitale Währungen der Zentralbanken (CBDCs) und Distributed Ledger Technologies (DLT) könnten die Funktionsweise des Multiplikators und die Rolle der Geschäftsbanken verändern, doch das grundlegende Verständnis der Geldschöpfung bleibt für die Beurteilung monetärer Phänomene unverzichtbar.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist der Unterschied zwischen der Geldbasis und der Geldmenge?

Die Geldbasis (oder Zentralbankgeld, M0) ist das von der Zentralbank ausgegebene Geld, bestehend aus Bargeld im Umlauf und den Reserven der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Die Geldmenge (z.B. M1, M2, M3) ist die breitere Definition des Geldes, die zusätzlich zum Bargeld auch das Buchgeld (Sichteinlagen, Spar-, Termineinlagen) umfasst, das von den Geschäftsbanken durch Kreditvergabe geschaffen wird. Der monetäre Multiplikator beschreibt das Verhältnis, mit dem die Geldbasis in die breitere Geldmenge umgewandelt wird.

Wie kann die Zentralbank den monetären Multiplikator beeinflussen?

Die Zentralbank kann den Multiplikator indirekt beeinflussen. Sie steuert die Geldbasis direkt über Offenmarktgeschäfte. Indirekt beeinflusst sie den Multiplikator, indem sie den Mindestreservesatz anpasst, die Zinsen auf Bankeinlagen bei der Zentralbank ändert (was die Überschussreserven beeinflusst) und durch Kommunikation (Forward Guidance) die Erwartungen und das Kreditvergabeverhalten der Banken und die Bargeldpräferenz der Öffentlichkeit zu steuern versucht.

Warum sinkt der Geldmultiplikator in einer Finanzkrise?

In einer Finanzkrise sinkt das Vertrauen in das Bankensystem und die Wirtschaft. Banken werden vorsichtiger und halten größere Überschussreserven (Erhöhung von ‚e‘). Die Öffentlichkeit neigt dazu, mehr Bargeld abzuheben (Erhöhung von ‚c‘). Gleichzeitig sinkt die Kreditnachfrage, da Unternehmen und Haushalte unsicher sind. All diese Faktoren verringern die Bereitschaft oder Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, was den Multiplikator reduziert und die Geldschöpfung bremst.

Was ist endogene Geldschöpfung und wie unterscheidet sie sich vom Multiplikator-Modell?

Die Theorie der endogenen Geldschöpfung besagt, dass Geld nicht primär von der Zentralbank „von oben“ in die Wirtschaft gepumpt wird, sondern dass es „von unten“ entsteht, wenn Geschäftsbanken Kredite vergeben und dadurch Sichteinlagen schaffen. Die Banken vergeben Kredite basierend auf Nachfrage und Rentabilität, und die Zentralbank reagiert dann, indem sie die notwendigen Reserven bereitstellt, um das Zahlungssystem stabil zu halten. Das traditionelle Multiplikator-Modell hingegen legt nahe, dass die Zentralbank die Geldbasis steuert und diese dann den Umfang der Geldschöpfung durch die Banken bestimmt. Moderne Ansichten betonen oft eine Mischung aus beiden Perspektiven.

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