Europäische Haushalte sehen sich mit einer erheblichen wirtschaftlichen Verschiebung in der Haustierhaltung konfrontiert, da die Kosten für tierärztliche Leistungen dramatisch angestiegen sind und die allgemeine Inflation auf dem gesamten Kontinent kontinuierlich übertreffen. Diese steigende finanzielle Belastung verändert die Dynamik der Tierpflege, von Adoptionsmustern bis zur strukturellen Entwicklung der Veterinärbranche, und stellt eine komplexe Herausforderung für Tierhalter und Tierschutzorganisationen dar.
Laut dem harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von Eurostat sind die Kosten für Tierarztleistungen und damit verbundene Dienstleistungen in der Eurozone seit 2015 um über 30 % und in der gesamten Europäischen Union um fast 37 % gestiegen. Diese Beschleunigung der Haustierhaltungskosten übertrifft die allgemeine EU-Inflationsrate von 30 % im gleichen Zeitraum erheblich und unterstreicht die wachsende finanzielle Belastung für Tierhalter.
- Dramatischer Anstieg der Tierarztkosten übertrifft die allgemeine Inflation in Europa.
- Besonders starke Preissteigerungen in Mittel- und Osteuropa, z.B. Ungarn (+116 %).
- Pandemiebedingter Haustier-Boom als Hauptursache für erhöhte Nachfrage und Preise.
- Zunehmende Korporatisierung im Veterinärsektor verändert die Marktstruktur.
- Diese Entwicklungen führen zu einem alarmierenden Anstieg der Tieraussetzungen.
Die Auswirkungen dieser steigenden Kosten waren in Mittel- und Osteuropa besonders spürbar. Daten zeigen einen erstaunlichen Anstieg der Tierarztkosten seit 2015, wobei Ungarn einen Anstieg von 116 % und Polen einen Anstieg von 85 % verzeichnete. Die Slowakei und Bulgarien verzeichneten ebenfalls erhebliche Sprünge, wobei die Kosten um 84 % bzw. 64 % stiegen, was die erheblichen regionalen Unterschiede in der Erschwinglichkeit der Tierpflege widerspiegelt.
Ein Hauptgrund für diesen Nachfrageschub und die daraus resultierenden Preissteigerungen ist der beispiellose Boom in der Haustierhaltung, der während und unmittelbar nach der COVID-19-Pandemie beobachtet wurde. Lockdowns und mehr Zeit zu Hause führten dazu, dass viele Menschen in Rekordzahlen Haustiere adoptierten. Der Europäische Verband der Heimtierbedarfsindustrie (FEDIAF) schätzt, dass 139 Millionen oder 49 % der europäischen Haushalte inzwischen ein Haustier besitzen, wobei Hunde und Katzen die beliebtesten Begleiter bleiben. So entfallen beispielsweise allein auf das Vereinigte Königreich schätzungsweise 11,7 Millionen Heimhunde, während Deutschland mit 15,7 Millionen Katzen bei der Katzenhaltung führend ist.
Die Korporatisierung der tierärztlichen Versorgung
Gleichzeitig durchläuft die Struktur des tierärztlichen Versorgungssektors selbst eine bedeutende Transformation. Eine im Jahr 2024 in der Zeitschrift „Veterinary Sciences“ veröffentlichte Studie beleuchtet die „Korporatisierung der tierärztlichen Versorgung“ als einen Schlüsseltrend, der die Dienstleistungen für Heimtiere in ganz Europa beeinflusst. Die Studie zeigt einen deutlichen Wandel von unabhängigen Kliniken zu unternehmenseigenen Praxen, wobei 16 % der Tierärzte mittlerweile in Konzernstrukturen arbeiten, verglichen mit 51 % in unabhängigen Praxen. Dieser Trend ist bei jüngeren Fachkräften besonders ausgeprägt: 43 % der Befragten unter 35 Jahren und 57 % unter 40 Jahren sind bei Konzernen angestellt, was einen Generationswechsel innerhalb des Berufsstandes signalisiert.
Obwohl die Korporatisierung Vorteile wie strukturiertere Karrierewege und Skaleneffekte bieten kann, wirft sie auch erhebliche Bedenken auf. Die Studie weist auf Probleme wie steigende Preise für Dienstleistungen, eine verminderte Autonomie für einzelne Tierärzte und potenzielle Risiken für den Marktwettbewerb hin. Diese Bedenken haben bereits zu einer Prüfung durch Aufsichtsbehörden geführt, darunter die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA), die die sich entwickelnde Marktdynamik untersucht.
Anstieg der Tieraussetzungsraten
Eine schwerwiegende Folge dieser zusammenlaufenden Faktoren – explodierende Kosten und der rasche Anstieg der Haustierhaltung während der Pandemie – ist ein alarmierender Anstieg der Tieraussetzungsraten in europäischen Ländern. Der Deutsche Tierschutzbund führte beispielsweise eine bundesweite Umfrage durch, die ergab, dass 69 % der Tierheime an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten, wobei 49 % voll oder sogar überfüllt sind. Nur 18 % verfügen noch über Kapazitäten, neue Tiere aufzunehmen. Thomas Schroeder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, bemerkte: „Die Zahl der Menschen, die ihre Tiere loswerden wollen, scheint höher denn je zu sein. Die Tierheime sind überlastet und können nicht mehr jedes in Not geratene Tier versorgen.“
Dieser Trend ist nicht auf Deutschland beschränkt. In Spanien wurden 2024 schätzungsweise 300.000 Hunde ausgesetzt, trotz bestehender Chip- und Kastrationsvorschriften, die solche Vorfälle eindämmen sollen. Ähnlich steht Frankreich jedes Jahr vor einer Herausforderung durch Tieraussetzungen, wobei die Zahlen zwischen 100.000 und 200.000 ausgesetzten Haustieren pro Jahr liegen. Diese Statistiken unterstreichen eine wachsende Tierschutzkrise, die durch den wirtschaftlichen Druck auf Tierhalter und die strukturellen Veränderungen in der Veterinärbranche verschärft wird.