Der chinesische Aktienmarkt erlebt eine Wiederbelebung, die nicht auf eine neu entdeckte Risikobereitschaft von Privatanlegern zurückzuführen ist, sondern auf die schwindende Attraktivität traditioneller Spar- und Anlageformen. Da inländische Anlageklassen ins Stocken geraten, sind Haushalte zunehmend gezwungen, ihre Finanzstrategien neu zu bewerten und potenziell ruhendes Kapital in den Aktienmarkt zu leiten.
Die jüngste Rallye des CSI 300 Index, die seit April einen Anstieg von über 25 % verzeichnete, wird auf eine Kombination von Faktoren zurückgeführt, darunter die Begeisterung für Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und eine wahrgenommene Abschwächung der geopolitischen Rhetorik aus dem Weißen Haus. Der zugrunde liegende Impuls für eine Veränderung des Verhaltens von Privatanlegern scheint jedoch aus einem systemischen Rückgang der Rentabilität alternativer Sparinstrumente zu stammen.
Schwindende Renditen bei traditionellen Vermögenswerten
Traditionelle Wege zur Vermögenssicherung und -steigerung bieten deutlich geringere Erträge. Fünfjährige Festgeldkonten bei großen chinesischen Banken bieten derzeit etwa 1,3 %, ein starker Rückgang gegenüber den 2,75 % im Jahr 2020. Die Zinssätze für Sichteinlagen sind noch niedriger und liegen bei etwa 0,05 % pro Jahr. Der einst lukrative Geldmarktfonds Tianhong Yu’E Bao, ein bedeutender Akteur mit einem verwalteten Vermögen von rund 110 Milliarden US-Dollar, erzielt nun nur noch magere 1,1 %, ein starker Kontrast zu seiner früheren Performance.
Anleihen und Immobilien unterperformen
Auch der Anleihenmarkt bietet keine überzeugenden Renditen. Trotz potenzieller Zinssteigerungen liegt die aktuelle 10-Jahres-Benchmark bei 1,80 %, deutlich unter dem Fünfjahresdurchschnitt von 2,58 %. Die Wiedereinführung von Steuern auf Anleihezinsen schmälert die potenziellen Gewinne weiter und wirkt als Abschreckung für Anleger. Darüber hinaus bleibt der Immobiliensektor, der historisch gesehen ein Eckpfeiler des Haushaltsvermögens war, in einem anhaltenden Abschwung gefangen. Da die meisten Familien bereits mehrere Immobilien besitzen und Entwickler mit der Fertigstellung von Projekten zu kämpfen haben, hat die Attraktivität von Immobilieninvestitionen nachgelassen. Die Anweisung von Präsident Xi Jinping, dass „Häuser zum Wohnen und nicht zur Spekulation da sind“, hat offensichtlich die Marktstimmung beeinflusst und zu einem Rückgang des Immobilienanteils am Haushaltsvermögen geführt.
Herausforderungen bei Vermögensverwaltung und ausländischen Investitionen
Auch Vermögensverwaltungsprodukte (WMPs) zeigen eine schwache Performance, wobei die durchschnittlichen annualisierten Renditen sowohl für festverzinsliche als auch für gemischte WMPs seit mehreren Jahren unter 3 % liegen. Lebensversicherungen, wie einige Universalpolicen von Ping An Insurance, verzeichneten einen Rückgang ihrer Renditen von 4,3 % auf 2,5 %. Während einige Anleger internationale Märkte, insbesondere US-Technologieaktien, in Betracht gezogen haben, stellen Chinas strenge Kapitalkontrollen ein erhebliches Hindernis dar. Jährliche Devisenumrechnungslimits und Steuern auf Auslandsinvestitionserträge, gepaart mit Zugangsbeschränkungen für globale Aktienfonds, machen ausländische Investitionen für den durchschnittlichen chinesischen Anleger weniger attraktiv und komplexer.
Aktienmarkt als primäre Alternative
Die Kombination aus niedrigen Sparrenditen, unterdurchschnittlicher Performance bei Anleihen und Immobilien sowie Beschränkungen für ausländische Investitionen lässt den heimischen Aktienmarkt als einen der wenigen verbleibenden Wege für potenzielles Wachstum erscheinen. Analysten gehen davon aus, dass der strukturelle Druck auf alternative Vermögenswerte weiterhin Kapitalzuflüsse in chinesische Aktien erzwingen wird, da Anleger versuchen, die Erosion der Kaufkraft ihrer Ersparnisse zu mildern. Diese Dynamik könnte eine weitere Beteiligung von Privatanlegern vorantreiben und den derzeitigen Einfluss institutioneller und ausländischer Investitionen ergänzen. JPMorgan Chase prognostiziert, dass Haushaltsgelder bis Ende 2026 bis zu 350 Milliarden US-Dollar zum chinesischen Aktienmarkt beitragen könnten.

Sebastian ist unser Spezialist für Makroökonomie und Geldpolitik: Er zerlegt EZB-Protokolle, vergleicht weltweite Inflationsdaten und liefert Leitartikel, die selbst Zentralbankerinnen lesen, um am Puls der Märkte zu bleiben. Mit über zehn Jahren Erfahrung in Research-Häusern verbindet er akademische Tiefe mit journalistischer Klarheit – und findet stets den passenden historischen Vergleich, wenn ein neuer Konjunkturzyklus anrollt. Angeblich hat er einmal versucht, seine Kaffeemaschine auf „Quantitative Easing“ umzustellen; seither gibt sie doppelte Espresso-Shots aus, doch die Geldmenge in seiner Brieftasche blieb erstaunlich stabil.